Unterdokumentation bei Schulterdystokie

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Kommentar von Jan Tübben zu Urteil zu Plexusverletzung

Erneut ist im Rahmen eines Zivilprozesses (hier: LG Augsburg (Az 072 O 4921/11)) um das Schicksal eines mit schwerer Armplexusschädigung geborenen Jungen bestätigt worden, dass es zum einen weder in der geburtshilflichen Praxis noch in der geburtshilflichen Literatur einen nennenswerten Unterschied zwischen einer Schulterdystokie und dem Phänomen einer sog. „erschwerten Schulter“ gibt. Das ist richtig und wichtig!

Der häufig von den Behandlern ins Feld geführte Scheinbegriff der `erschwerten Schulter´ soll zur Verteidigung der Behandler bewirken, dass die eigentlich bei einer Schulterdystokie erforderlichen geburtshilflichen Manöver zur Entwicklung des Kindes außer Kraft treten und der Geburtshelfer stattdessen frei in seinen Entscheidungen und Maßnahmen sei. Er sei sozusagen nicht mehr an Leitlinien und Lehrbücher gebunden. Insbesondere sei, so der häufigste Einwand, wenn ja buchstäblich außer einer „erschwerten Schulterentwicklung“ nichts weiter passiert sei (insb. keine Schulterdystokie), auch nichts weiter zu dokumentieren.

Es wurde erneut, wie schon in vielen Prozessen zuvor, klargestellt, dass der Begriff der „erschwerten Schulter“ überhaupt keine eigenständige Bedeutung hat. Er stellt vielmehr das Resultat einer vermeidbaren Unterdokumentation (Underreporting) in der Geburtshilfe dar. Es handelt sich in den allermeisten Fällen jedenfalls um eine (bewusst oder unbewusst) nicht erkannte Schulderdystokie. Die haftungsrechtlichen Konsequenzen entsprechen dann auch mindestens denjenigen wie bei dem Auftreten einer Schulterdystokie.
War die Schulterentwicklung also „erschwert“ muss von der Behandlungsseite gleichwohl erklärt und dokumentiert werden, wie dieses Problem gelöst wurde.

Die Sachverständige hat vor dem LG Augsburg bestätigt, dass es auch bei der sog. erschwerten Schulter fehlerhaft ist, wenn als Erstmaßnahmen nicht die Schonendsten (McRoberts, innere Wendung) zur Anwendung kommen, sondern primär Manöver mit Verletzungsgefahr des Kindes angewendet werden.

Vereinzelt findet man gleichwohl auch noch Entscheidungen, bei denen sich die Behandlungsseite erfolgreich auf die erschwerte Schulter berufen konnte, weshalb diese entgegen beachtlicher Argumente namhafter Geburtshelfer ein beliebtes Verteidigungsmittel bleibt.

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